ANTON *

Blood on the dancefloor
Ensemble, Audio

Dokumentation

Das Neue in der Kunst wird durch die Operation des innovativen Tausches gewährleistet, in dem die Dinge aus dem profanen Raum aufgewertet und die bestehenden kulturellen Werte abgewertet werden (Boris Groys, »Über das Neue«, 1992). Die gesamte Musikgeschichte ist durch dieses Verfahren geprägt: was als Nicht-Musik galt, wurde zwangsläufig zu Musik gemacht. Was dabei bemerkenswert ist, ist die Tatsache, dass überwiegend nur der akustische (stoffliche) Teil des profanen Raums in den innovativen Tausch involviert wurde. Dieses Phänomen hat aber rein ökonomische Gründe: um ein Kunstwerk realisieren zu können, werden Produktionsmittel benötigt, die von den entsprechenden Institutionen zur Verfügung gestellt werden. Im Fall von Musik sind das die Klangkörper, die das Resultat des innovativen Tausches im Akustischen, sprich das Musikstück, seit Jahrhunderten ermöglichen. In der postmodernen Situation besteht das Hauptmerkmal des stofflichen Teils des profanen Raums darin, dass jeder Bestandteil dieses Raums, sprich jeder Klang, im Laufe der Musikgeschichte mindestens einmal auf- und abgewertet wurde. Deswegen ist das gesamte Akustische kulturell und profan gleichzeitig: die Grenze wurde gelöscht. Daraus folgt, dass das Generieren des Neuen, wenn der profane Raum auf seinen akustischen Teil beschränkt wird, nicht mehr möglich ist. Falls dies vernachlässigt wird, entstehen Musikstücke, die voneinander nicht mehr unterscheidbar sind, die ein weiteres Abbild von sich selber sind. Die Kunst hat aber als Grundlage das Schaffen von Unterscheidungen. In diesem Zusammenhang ist die einzige Strategie für das Aufrechterhalten des Neuseins der Neuen Musik die Abwertung des innovativen Tausches im Stofflichen.

Der Titel »Blood on the dance floor« bezieht sich auf den gleichnamigen Song von Michael Jackson, in dem es darum geht, dass ein Mann auf einer Party mit dem Messer erstochen wird. Metaphorisch ist die Kunst mit ihrem Neusein auch eine Tanzfläche, auf der das „Blut“ der bestehenden kulturellen Werte permanent vergossen wird. Jede Durchführung der Operation des innovativen Tausches ist ein an diesen Werten ausgeübter Gewaltakt.

Das Stück thematisiert die Fusion der akustisch profanen und kulturellen Räume und die damit verbundene Unmöglichkeit des innovativen Tausches im Akustischen. Dies wird durch explizite Verwendung von Readymade-Verfahren und Bildung von Selbst- und Fremdreferenzen gewährleistet. Dabei werden die eigentlichen stofflichen Materialien, die Form und das Komponieren selbst als Readymades behandelt und entsprechend umkontextualisiert, wobei die kontextuellen Unterschiede zwischen den Readymades in den Vordergrund und die akustischen in den Hintergrund treten. Dieses Verfahren wird im ersten Teil des Stückes auf die Klangmaterialien angewandt: das Akustische per se wird abgewertet und die interkontextuellen Bezüge werden aufgewertet. Strukturell gesehen ist der Teil ein Glissando im Medium der Formung von akustischen Materialien: es beginnt mit einem einzelnen Ton und endet mit den erkennbaren Zitaten. So exponiert beispielsweise der erste Abschnitt einzelne Cs der Klarinettenstimme aus bestehenden musikalischen Werken, wobei jedes C kommentiert wird. Die Kommentare verweisen explizit auf die Stücke, aus denen das entsprechende C entlehnt wurde. Durch die Bildung von Relationen wird die kontextuelle Grenze zwischen diesen fast identischen akustischen Materialien neu gezogen. Im zweiten Teil wird das akustische Komponieren abgewertet und das relationale Komponieren aufgewertet, wobei hier im Medium des Komponierens selbst glissandiert wird: von einer frei improvisierten Musik bis zu einer nach einem rigiden System komponierten Musik. Die Materialien des letzten Teils werden nach dem Prinzip des maximalen Kontrastes aneinandergereiht und zwar nicht nur akustisch (z. Bsp. laut/leise) sondern auch kontextuell (z. Bsp. Schönberg/Techno). Durch die schon in den Materialien transportierten Relationen werden wiederum kontextuelle Unterschiede geschaffen.

Bild: Zoya Cherkassky-Nnadi

Projektinformation:

Kategorie: Ensemble, Audio

Besetzung: Fl, Kl, Fg, Hrn, Pos, Schlzg, Klv, Key, Vln, Vc, Kb, FOH-Regie

Dauer: ca. 16'

Datum: 12. Mai 2012

Partitur: PDF